Marktgeschrei

A. war live. Nein, sie ist kein Camgirl und auch nicht in der Pornobranche. Sie wollte die Welt nur wissen lassen was in dem Moment so in ihrem Kopf vorgeht, auch wenn das nicht wirklich jemand zu interessieren scheint. Ihr Belang ist nichts weltbewegendes, es ist etwas sehr persönliches und das sollen jetzt alle registrieren.

Live gehen, präsent sein, persönliche Gedanken pausenlos ungefragt in die Welt tragen. Sich zeigen, herzeigen, aufzeigen. Erinnert ein wenig an jene SchülerInnen deren Aufzeigefinger permanent den LehrerInnen vor der Nase rumwedelt. 

In einer immer lauter werdenden Welt muss man sichtbar bleiben. "Mach dich und dein Unternehmen sichtbar!" posaunt ein junger Typ im Maßanzug sehr lässig an einen Baum gelehnt. Er signalisiert Naturverbundenheit, Erdung aber auch die skrupellose Cleverness eines selfmade Millionärs. 

Es ist richtig gesehen zu werden, es ist wichtig nicht unterzugehen in der Masse der Angebote, und gerade in der Selbständigkeit ist es oft Kampf ums Überleben . Wer schreit lauter, wer fliegt höher, wer verspricht mehr? Der Jahrmarkt der Eitelkeiten ist eröffnet. Doch macht permanente Werbung ein Produkt/ein Angebot auf Knopfdruck besser?

Gute Produkte und Dienstleistungen haben sich über Jahre etabliert. Oft gingen den Erfolgsgeschichten Versuchsphasen und viel Mundpropaganda voraus. Wenn etwas gut ist, bewährt es sich nachhaltig. Menschen fehlt oftmals Geduld und das Vertrauen in die Kraft  ihrer Authentizität . Wenn ich mit meiner Persönlichkeit ein Teil des Produktes bin, kann (sollte ich ein von Natur aus extrovertierter Mensch sein) das Laute und Aggressive durchaus authentisch rüberkommen. 

Alle wollen wir "geliked" werden, wie kleine Kinder heischen wir um Lob und Anerkennung. S. postet täglich Statements zufriedener KlientInnen. Sie  bekommt als Belohnung süße Gifs von Beate unter ihren Meldungen. "meeegaaa Mausi" und "weiter so du Powerfrau", geht runter wie Öl. Wir wollen bestätigt, gelobt und getätschelt werden. 

Täglich beglückt von guten Gedanken, geilen Orten, Binsenweisheiten. Von Uschi aus Augsburg die eigentlich Kosmetikerin ist , jetzt aber ihren Sinn in Yoga gefunden hat, von Bärbel aus Duisburg die jetzt "Momfluencerin"  ist und uns über frühkindliche Traumata aufklären möcht, von Rico aus Köln der Anabolika schluckt und uns einen gesunden Lebensstil näher bringt

Soziale Medien werden mit philosophischen Manifesten verwechselt. In wortreichen Ergüssen, in seitenlangen Abhandlungen wird von der Morgentoilette berichtet. Kurz und knackig scheint  manchen Hobbyschamanen zu trivial.

Persönliche Erfolgserlebnisse gehören  unmittelbar und permanent der Öffentlichkeit mitgeteilt. Über soziale Medien hat  selbst Mitzi aus Hintertupfing einen Äther in den der große Egofurz geblasen wird.

Es ist wunderbar Erkenntnisse zu haben, neue Lebensphasen zu feiern, sich weiter zu entwickeln und das darf man auch gerne teilen-nur nicht mit der ganzen Welt.

Ich scheine Kinder und nicht Erwachsene zu beobachten: sie zeigen sich ihre Bauklotztürme, wollen ein Mamapapa Lob und einen Vanillepuddig. So funktionieren wir, wie Hunde die einen Streichler abkassieren wollen wenn sie brav Lulu gemacht haben. Ich zeig dir meines und du mir deines, das ist die freie Marktwirtschaft.

Wir dürfen die Stille nicht verlernen, denn Erfolge werden nicht am Lärmpegel gemessen, sondern daran das wir zufrieden und erfolgreich sind, das muss uns niemand von außen bestätigen. Mitmenschen werden sich für uns freuen wenn wir unser Weiterkommen selbstverständlich in unsere Persönlichkeit integriert haben, denn Weisheit ist inspirierend und ansteckend und macht jede Werbung wett. 

 

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